Containern in der Kunsttherapie – Wenn das Papier zum sicheren Hafen wird

Ahoi, liebe Leserin,
es gibt Tage, da scheint das innere Meer unruhig. Gedanken schlagen wie Wellen an die Bordwand, Gefühle treiben in alle Richtungen, und wir sehnen uns nach einem Ort, an dem wir kurz vor Anker gehen können. Ein Ort, an dem alles, was schwer ist, für eine Weile abgelegt werden darf. Da kommt das Containern in der Kunsttherapie mit ins Boot.

In der Kunsttherapie gibt es dafür eine wunderbare Methode: das Containern. Es ist, als würden wir ein kleines Boot bauen, das uns trägt, wenn die See des Lebens rau wird.

Was bedeutet Containern eigentlich?

Der Begriff stammt aus der psychoanalytischen Theorie von Wilfred Bion. Er beschrieb das „Containment“ als die Fähigkeit, emotionale Inhalte zu halten – nicht zu verdrängen, nicht auszuleben, sondern sie in sich oder in Beziehung zu einem anderen Menschen aufzunehmen und zu verarbeiten.

In der Kunsttherapie übersetzen wir dieses „Halten“ in eine bildnerische Handlung. Wir geben dem, was in uns tobt oder drückt, eine Form, einen Rahmen, ein Gefäß. So entsteht ein Raum, in dem Gefühle existieren dürfen, ohne uns zu überfluten.

Containern bedeutet also nicht, etwas wegzusperren – sondern etwas so zu halten, dass es sich verwandeln kann.

Wie beim Segeln: Wir können die Windrichtung nicht ändern, aber wir können lernen, die Segel anders zu setzen.

Das Papier als Container – ein sicherer Raum für innere Wellen

In meiner kunsttherapeutischen Arbeit nutze ich oft das Papier selbst als Container. Es ist wie das Deck eines kleinen Bootes: Hier darf alles abgeladen werden, was im Inneren zu schwer geworden ist. Gedanken, Sorgen, Spannungen – sie müssen nicht länger im Körper kreisen, sondern dürfen einen geschützten Ort außerhalb finden.

Wenn der Stift das Papier berührt, entsteht eine Art emotionaler Transfer. Alles, was zuvor diffus und überwältigend war, darf sich in Linien, Farben oder Formen verwandeln. Das Papier hält, was der Mensch im Moment nicht mehr halten kann – ein stilles, stabiles Gegenüber, das weder bewertet noch zurückschreckt.

Containern

In der Kunsttherapie bedeutet „Containern“ nicht, etwas wegzusperren –
sondern etwas so zu halten, dass es sich verwandeln kann.
Kunsttherapie hilft, wenn die Worte ausbleiben.

Manchmal fällt es meinen Patientinnen und Patienten schwer, diesen Schritt zu gehen. Dann erinnere ich daran: Es geht nicht darum, eine Geschichte zu malen oder etwas Schönes zu gestalten. Es dürfen Phantasiesymbole, Kritzeleien oder einfache Strichzeichnungen sein – Hauptsache, es kommt raus aufs Papier, in den Container. Nur im äußersten Fall darf auch geschrieben werden, wenn das bildnerische Gestalten im Moment nicht möglich ist.

Oft geschieht dann etwas Bemerkenswertes: Nach einigen Minuten des freien Gestaltens kehrt Ruhe ein. Der Blick wird weicher, die Atmung tiefer. Das Innere beginnt, sich selbst zu sortieren. Das Papier hat gehalten, was gehalten werden musste.
So wird das Containern auf Papier zu einem Atemholen für die Seele – einer kleinen Hafenpause mitten im Sturm.

Eine einfache Übung: „Mein inneres Gefäß“

Material:
Ein Blatt Papier, Stifte, Kreiden oder Farben – alles, was dich anspricht.

Ablauf:

  1. Ankommen.
    Atme ein paarmal tief durch. Spüre den Boden unter deinen Füßen, wie ein sicherer Kiel unter deinem Boot.
  2. Abladen.
    Beginne zu zeichnen, zu kritzeln, zu malen – ohne Plan und ohne Ziel. Alles, was dich belastet, darf hinaus aufs Papier.
  3. Betrachten.
    Nimm dir einen Moment, um dein Bild anzuschauen. Was siehst du? Wie fühlt es sich an, dass das, was dich beschäftigt, nun dort liegt – außerhalb von dir?
  4. Rahmen geben.
    Umrande dein Blatt oder füge Linien hinzu, die dein Werk halten. Sie sind dein Container, dein symbolischer Schutzraum.

Vielleicht spürst du danach, dass etwas leichter geworden ist. Nicht, weil es verschwunden wäre, sondern weil es jetzt einen Platz gefunden hat.

Warum Containern wirkt

Containern stärkt unsere Fähigkeit zur Selbstregulation. Das äußere Halten des Papiers spiegelt das innere Halten wider – ein Prozess, der emotionale Überflutung mindert und Klarheit schafft.
Wissenschaftlich betrachtet fördert diese Methode die Mentalisierungsfähigkeit: die Fähigkeit, eigene Gefühle zu erkennen, zu verstehen und achtsam zu steuern.

Indem wir etwas gestalten, das uns innerlich beschäftigt, treten wir aus der reinen Emotion in eine reflektierende Haltung. Wir werden Zeug*innen unseres inneren Erlebens – und das allein verändert schon die Dynamik.
Oft ist es dieser kleine, unscheinbare Schritt – der Moment, in dem der Stift das Papier berührt –, der den Unterschied macht.

Grenzen und Hinweise

Containern kann sehr entlastend wirken, ersetzt aber keine psychotherapeutische Behandlung, wenn Gefühle zu stark oder überwältigend werden.
In solchen Phasen ist es wichtig, sich begleitende Unterstützung zu holen – ein sicherer Hafen außerhalb des eigenen Ateliers.

Fazit – Der stille Hafen im Bild

Containern ist eine Einladung, das, was schwer ist, nicht zu verdrängen, sondern achtsam zu halten.
Das Papier wird zum sicheren Ort – zu einem Hafen, in dem Gedanken und Gefühle anlegen dürfen, bis das Meer sich beruhigt.

Vielleicht spürst du nach dem Gestalten:
Es darf alles da sein.
Nur diesmal – in einem Gefäß, das trägt.

Ahoi und herzlichst deine Frauke

1 Gedanke zu „Containern in der Kunsttherapie – Wenn das Papier zum sicheren Hafen wird“

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